Zitat einer Patientin mit Adipositas zur medikamentösen Therapie
News | 30.08.2025

Zitat einer Patientin mit Adipositas zur medikamentösen Therapie
Mit freundlicher Genehmigung aus Facebook kopiert:
von Sylvia Czarnecki 28. August um 16:52 ·
Ich möchte heute mal meine Gedanken zum Thema Übergewicht und medikamentöse Therapie mit euch teilen, weil ich in den letzten Tagen immer wieder Diskussionen sehe, in denen einfach so vieles falsch dargestellt wird.
Ich finde es unfassbar schlimm, dass Menschen, die damit offen umgehen, so angefeindet werden und ihnen der gesamte Erfolg abgesprochen wird. Bei keiner anderen Krankheit ist diese Diskussion so üblich wie bei Adipositas. Als Außenstehender kann man diesen Leidensdruck häufig nicht nachvollziehen.
In den Medien und Diskussionen hört man zwar immer wieder von Medikamenten mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten, aber die wenigsten verstehen wirklich, warum diese Medikamente notwendig sind und wie sie wirken.
Von außen höre ich oft die gleichen Einwände: „Man muss doch erst mal die Ursache finden“ oder „Man soll es lieber ohne Medikamente schaffen“. Natürlich ist es wichtig, ärztlich abzuklären, ob eine Schilddrüsenerkrankung oder andere hormonelle Störungen eine Rolle spielen. Aber in den meisten Fällen liegt das eigentliche Problem im Stoffwechsel. Es handelt sich um ein metabolisches Ungleichgewicht, das durch das Übergewicht selbst ausgelöst oder massiv verstärkt wird.
Übergewicht ist keine Frage von Disziplin oder Willenskraft.
Wer betroffen ist, kennt Foodnoise. Damit ist dieses ständige innere Suchen nach Essen gemeint, dieser Drang, der sich nicht abstellen lässt. Für Außenstehende wirkt es wie mangelnde Selbstkontrolle, in Wahrheit ist es ein körperlicher Prozess. Am besten versteht man es mit einem einfachen Vergleich: Man muss mal dringend auf die Toilette. Man kann das eine Weile verdrängen, aber je länger man es unterdrückt, desto stärker wird der Druck, bis man an nichts anderes mehr denken kann. Irgendwann überlagert das Bedürfnis alles andere. Foodnoise ist genau das. Ein reales körperliches Signal, das nicht verschwindet, nur weil man sich zusammenreißt.
Langfristiges Übergewicht bringt den gesamten Hormonhaushalt durcheinander. Fettgewebe ist kein passiver Energiespeicher, sondern hormonell aktiv. Es produziert Adipokine und entzündungsfördernde Zytokine, die Entzündungsprozesse fördern und die Insulinempfindlichkeit herabsetzen. Dadurch entsteht Insulinresistenz. Zucker gelangt schlechter in die Zellen, der Körper reagiert mit einer verstärkten Insulinausschüttung, es kommt zur Hyperinsulinämie. Hohe Insulinspiegel verstärken das Hungergefühl, treiben die Fetteinlagerung an und verschärfen die Problematik. Zusätzlich wird im Fettgewebe vermehrt Östrogen gebildet, was weitere Störungen im endokrinen Gleichgewicht verursacht. Mit jedem Kilo Übergewicht verschiebt sich das System weiter, bis ein Teufelskreis entsteht, der sich selbst stabilisiert.
Auch das Gehirn bleibt davon nicht unberührt. Hochkalorische Lebensmittel, insbesondere die Kombination von Zucker und Fett, aktivieren das Belohnungssystem und führen zu einer starken Dopaminausschüttung. Der Körper hat damit eine schnelle, aber nur kurzfristige Strategie, um Emotionen zu regulieren. Langfristig verfestigt sich dieser Mechanismus. Das Gehirn fordert immer wieder diese kurzfristige Entlastung ein und reagiert sensibler auf entsprechende Reize. So entsteht ein Kreislauf, in dem Essen immer stärker als schnelle Belohnung eingesetzt wird. Für Betroffene fühlt sich das wie eine Sucht an.
Eine zusätzliche Rolle spielen mögliche Komorbiditäten. Bei unbehandeltem ADHS ist das Gehirn ohnehin ständig auf der Suche nach Dopamin. Essen wird dann noch stärker zu einer scheinbar einfachen Möglichkeit, dieses Defizit zu kompensieren. In solchen Fällen sollte auch ADHS als mögliche Ursache für Übergewicht ärztlich in Betracht gezogen und abgeklärt werden. Interessant ist, dass GLP1-Medikamente auch hier ansetzen können, da sie nicht nur den Stoffwechsel regulieren, sondern auch das Belohnungssystem beeinflussen. Für manche Betroffene eröffnen sie dadurch eine zusätzliche Chance, den Kreislauf aus Hunger, Foodnoise und Gewichtszunahme zu durchbrechen.
GLP1-Rezeptoragonisten und die neueren GIP/GLP1-Kombinationen wirken gleich an mehreren Stellen. Sie verbessern die Insulinsensitivität, senken die überhöhten Insulinspiegel, entlasten die Bauchspeicheldrüse und sorgen dafür, dass Zucker wieder besser in die Zellen gelangt. Gleichzeitig verzögern sie die Magenentleerung, verlängern das Sättigungsgefühl und wirken im Gehirn, indem sie das Foodnoise reduzieren. Sie greifen also direkt an den Mechanismen an, die Übergewicht aufrechterhalten, und eröffnen Betroffenen die Möglichkeit, überhaupt wieder nachhaltig Gewicht zu verlieren.
Natürlich gibt es Nebenwirkungen. Am häufigsten sind Magen-Darm-Beschwerden, die sich bei vielen bessern, wenn Ernährung und Dosierung angepasst werden oder der Körper sich an das Medikament gewöhnt. Schwerere Nebenwirkungen sind selten, müssen aber überwacht werden. Wichtig ist auch: Wenn ein Präparat nicht vertragen wird, kann man das Medikament wechseln oder absetzen. Hier geht es um eine klare Risiko-Nutzen-Abwägung. Die möglichen Nebenwirkungen treten nicht bei allen auf. Die Folgen von dauerhaftem Übergewicht dagegen fast immer. Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Arthrose und viele weitere Erkrankungen sind die Realität für die meisten, wenn Übergewicht unbehandelt bleibt. Medikamente kann man anpassen, absetzen oder austauschen. Die gesundheitlichen Folgen von Adipositas lassen sich nicht einfach wegschieben.
Langfristig stellt sich die Frage, ob solche Medikamente dauerhaft notwendig sind. Die Antwort ist individuell. Wenn sich die Stoffwechsellage nicht mehr vollständig reguliert und der Stoffwechsel dauerhaft geschädigt ist, kann es sein, dass man das Medikament ein Leben lang braucht. Genau wie bei anderen chronischen Erkrankungen sind dann langfristig Medikamente notwendig, die diesen Defekt ausgleichen. Es gibt aber auch viele Menschen, die GLP1 nur über eine bestimmte Zeit nutzen, das Medikament langsam ausschleichen und ausprobieren, wie der Körper ohne klarkommt. Manchmal gelingt es, die Wirkung durch Ernährungsumstellung und Verhalten zu stabilisieren. In schwierigen Phasen kann man die Therapie aber auch wieder aufnehmen, um gegenzusteuern. Studien zeigen außerdem, dass Menschen, die ihr Normalgewicht erreicht haben, es langfristig besser halten können, weil sich Hormone und Stoffwechsel in dieser Situation oft wieder regulieren. Leider schaffen es viele Übergewichtige gar nicht erst in diesen Bereich, weil sie über einen sehr langen Zeitraum ständig gegen ihren Körper ankämpfen müssen. Stress, Kummer oder andere Belastungen werfen sie schnell wieder aus der Bahn, bevor sie diesen stabilisierenden Punkt erreichen.
Besonders kritisch ist, dass unser Gesundheitssystem auf die Behandlung von Übergewicht nicht ausgelegt ist. GLP1-Therapien sind fast immer eine Selbstzahlerleistung. Das bedeutet, Betroffene müssen mehrere hundert Euro im Monat aufbringen, wenn sie diese Chance nutzen wollen. Gleichzeitig übernehmen die Krankenkassen operative Eingriffe zur Gewichtsreduktion oft ohne Probleme, obwohl diese invasiver sind und eigene Risiken haben. Ernährungsberatung wird in den wenigsten Fällen bezahlt, Therapieplätze sind extrem schwer zu bekommen, und viele Ärzte sind beim Thema Adipositas nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Ich bin aber positiv gestimmt, dass Medikamente wie GLP1 in Zukunft großzügiger seitens der Krankenkassen übernommen werden, wenn die langfristigen Erfolge noch deutlicher belegt sind.
Übergewicht ist keine Entscheidung. Es ist eine chronische, multikomplexe Krankheit, die Körper und Gehirn gleichermaßen betrifft.
Medikamente mit GLP1 Agonisten sind kein Wundermittel, aber sie sind ein wirksames Werkzeug. Sie helfen dabei, den Teufelskreis zu durchbrechen, das Foodnoise zu kontrollieren, die Insulinsensitivität zu verbessern und dem Gehirn die Chance zu geben, aus den erlernten Mustern herauszukommen. Zusammen mit Ernährungsumstellung und therapeutischer Begleitung bieten sie zum ersten Mal eine echte Möglichkeit, nachhaltig Gewicht zu verlieren und Gesundheit zurückzugewinnen.
Es ist höchste Zeit, dass wir aufhören, diese Therapie aus moralischen Gründen abzuwerten oder Betroffenen fehlende Disziplin zu unterstellen. Niemand würde einem Diabetiker sagen: „Probier es doch mal ohne Insulin“. Beim Thema Adipositas passiert genau das. Und das ist nicht nur unfair, sondern schlicht medizinisch falsch.